Für viele sind wir der einzige Besuch
„Für viele sind wir der einzige Besuch“
Wie Mitarbeitende von Diakoniestation und Tagespflege die Corona-Zeit erleben
Schwester Kathrin ist Pflegefachkraft und arbeitet schon seit 21 Jahren für die Diakoniestation Bad Krozingen. Pro Woche versorgt sie rund 25 Kundinnen und Kunden, die in der Seniorenwohnanlage „Betreut wohnen am Kurpark“ leben. Diese gehört – wie die Diakoniestation – zur Evangelischen Stadtmission Freiburg. Der Zeitplan für die Besuche ist wegen der Vorgaben der Pflegeversicherung schon in normalen Zeiten nicht sehr großzügig, „aber es ist uns ein Anliegen, dass der zwischenmenschliche Kontakt trotzdem nicht zu kurz kommt.“ In der Corona-Pandemie ist das noch wichtiger, denn viele Senioren haben jetzt ein größeres Redebedürfnis. So wie der ältere Herr, der sich den ganzen Tag über neueste Entwicklungen in der Coronakrise informiert und davon erzählen will. Oder die Dame, die Gemeinschaftsangebote in der Wohnanlage vermisst, die zurzeit nicht stattfinden dürfen.
Die Pflegekraft der Diakoniestation ist oft der einzige Besuch, der in die Wohnung kommt. „Viele laden keine Verwandten mehr zu sich ein, aus Angst sich zu infizieren. Sie kommen aber auch nicht mehr raus aus der Wohnung, trauen sich nicht einzukaufen oder spazieren zu gehen.“
Manche Kunden haben auch Sorge, sich bei der Pflegefachkraft anzustecken. Schwester Kathrin ergreift jedoch umfangreiche Schutzmaßnahmen: „Ich trage bei der Körperpflege eine FFP2-Maske, eine Schürze und Handschuhe. Die Kunden bitten wir, wenn möglich ebenfalls einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.“
Die Maske empfindet Schwester Kathrin als große Belastung für ihre Arbeit, denn: „Sie führt dazu, dass keine Emotionen zu erkennen sind. Gerade weil ich nur so kurz da sein kann, möchte ich den Menschen wenigstens ein Lächeln schenken, aber das geht jetzt nicht.“ Dazu kommt: Viele Senioren hören nicht gut, und „man wird durch den Mundschutz schlechter verstanden.“ Durch diese Einschränkungen fehle unheimlich viel – den Kunden und auch ihr selbst: „Ich habe diesen Beruf doch ergriffen, weil ich menschliche Wärme weitergeben will.“
Die Mitarbeitenden der Diakoniestation werden mehrmals pro Woche auf Corona getestet. „Das gibt mir mehr Sicherheit. Ich selbst habe keine Angst, aber ich will auf keinen Fall jemanden anstecken, den ich pflege.“ Deswegen verhält sich Schwester Kathrin auch im privaten Umfeld vorsichtig und meidet Risiken. „Selbst bei erlaubten Kontakten überlege ich: Kann ich das verantworten?“ Die Pflegefachkraft hat eine große Familie und es fällt ihr schwer, auf den Kontakt zu ihren elf Enkelkindern zu verzichten. „Das ist schon eine große Einschränkung.“
Anders als Schwester Kathrin hat es Bernadette Hörner mit Seniorinnen und Senioren zu tun, die ihr häusliches Umfeld mindestens einmal in der Woche verlassen. Sie ist Leiterin der Tagespflege im Haus Siloah und betreut mit ihrem Team jeden Tag fünf bis sechs Gäste. Vor Corona waren es deutlich mehr, aber wegen der Abstandsregeln reichen die Räume dafür nicht mehr aus. Zudem gibt es Senioren, die aus Angst vor einer Ansteckung lieber zuhause bleiben. Dabei gelten in der Tagepflege strenge Vorgaben, um eine Infektion zu verhindern: „Die Gäste halten Abstand zueinander und setzen, wenn sie umhergehen, eine Maske auf. Wir Mitarbeitende tragen jetzt durchgehend eine FFP2-Maske. Die Gäste wechseln nach einer Stunde den Raum, damit wir das andere Zimmer gut durchlüften können“, zählt Bernadette Hörner auf. Leider seien auch manche beliebte gemeinsame Aktivitäten den Corona-Regeln zum Opfer gefallen: „Die Senioren lieben das gemeinsame Singen, aber das ist jetzt nur noch draußen möglich. Und sie hätten sich gerne an der Advents-Bäckerei beteiligt. Das ging diesmal leider nicht.“
Die Mitarbeitenden empfinden vor allem das Tragen der Maske als schwierig, denn „man muss lauter sprechen, das Verstehen ist schwieriger geworden. Und die Mimik fehlt. Das ist besonders im Umgang mit neuen Gästen, die uns noch nicht kennen, ein Problem.“
Zuhause schränken die Senioren ihre sozialen Kontakte stark ein und sind sehr vorsichtig. Umso wichtiger ist es für sie, dass sie „bei uns einen Ort haben, wo sie noch Begegnung erleben“. Als die Verschärfung der Kontaktbeschränkungen angekündigt wurde, kamen bei Bernadette Hörner besorgte Anrufe an: „Die Leute fragten: Habt ihr noch offen? Wir sind doch so froh, dass wir zu euch kommen können!“ Die Sorge kann sie ihren Gästen glücklicherweise nehmen, denn anders als im Frühjahr darf die Tagespflege nun auch während des Lockdowns geöffnet bleiben.
Pflegebedürftige Menschen, die nur Pflegegeld beziehen und keinen Pflegedienst in Anspruch nehmen, sind verpflichtet, sich regelmäßig beraten zu lassen. Das ist die Aufgabe von Schwester Sandra, die für die Diakoniestation arbeitet. Rund um Bad Krozingen berät sie Seniorinnen und Senioren, die einen Pflegegrad haben und zuhause leben. „Ich teile der Kasse mit, ob die Leute gut versorgt und gepflegt sind und gebe ihnen Tipps, welche Hilfen sie in ihre Situation in Anspruch nehmen können.“ Wegen Corona waren diese Beratungsgespräche von März bis Ende September ausgesetzt. Als sie ihre Klienten im Oktober wieder besuchen durfte, stellte sie in vielen Fällen fest, dass die allein lebenden Menschen vereinsamt waren. „Für manche war ich die erste Besucherin seit einem halben Jahr.“ Hausärzte machten vielfach keine Besuche mehr bei den alten Menschen, die Physiotherapeuten kamen nicht mehr ins Haus. Und die Angehörigen blieben auch draußen – aus Sorge, dass sie ihre Lieben anstecken könnten. Einkäufe wurden vor die Tür gestellt, Gespräche gab es nur am Telefon.
Andere dagegen haben sich aus Angst selbst komplett zurückgezogen, „Eine Kundin mit einer chronischen Lungenkrankheit traut sich nicht mal, einen Spaziergang rund ums Haus zu machen. Sie könnte dabei ja jemanden treffen.“ Eine andere Frau erzählte ihr, dass sie mal Luftnot hatte. „Sie wollte aber keinen Rettungsdienst holen, aus Angst vor einer Ansteckung.“
Bei Senioren, die mit ihrem Partner oder den Kindern zusammen wohnen, stellt sich die Situation etwas anders dar. Vereinsamung ist hier nicht das Thema. Aber: „Es fehlte ein halbes Jahr lang die fachliche Beratung. Teils kam es zu Pflegefehlern. Menschen, die vor Corona noch mobil waren, sind jetzt bettlägerig.“ Bei manchen Kunden wäre es nötig, einen professionellen Pflegedienst zu engagieren oder die Senioren in die Tagespflege zu bringen, „aber die Angst vor der Ansteckung dominiert und alles wird aufs Frühjahr verschoben“.
Der Schwerpunkt ihrer Gespräche hat sich merklich verschoben: „Vor Corona ging es nur um die fachliche Beratung. Die findet zwar immer noch statt, aber für meine Kunden ist die Pandemie das wichtigste Thema.“ Positiv aufgenommen hat sie, dass die Mehrheit der Senioren keine Bedenken gegen eine Impfung hat – im Gegenteil: „Die meisten hoffen, dass sie bald dran sind.“ Sie selbst wünscht sich, „dass schnell eine gute Impfquote erreicht wird. Unsere Klienten sollen einen selbstbestimmten Lebensabend in Gemeinschaft erleben können.“